Was hindert Unternehmen eigentlich daran, innovativ zu sein? Oftmals ist es ihr eigener Erfolg. Eine lange Erfolgshistorie ist einer der zentralsten Innovations-Killer für Unternehmen. Wie die Wissenschaft das Phänomen erklärt und was ein mexikanischer Plastikstrohhalm damit zu tun hat? Mehr dazu erfährst Du in diesem Beitrag.
Vor einigen Monaten habe ich einen Roadtrip durch Yucatán unternommen, gemeinsam mit meiner Mutter. Die letzte Destination auf unserer durchaus abenteuerlichen Mexikoreise war die kleine Insel Holbox nordwestlich von Cancún. Sie ist bekannt für ihre wundervollen weißen Sandstrände, aber auch für eine sehr hippe Gastro-Szene, die neben den üblichen Pärchen in den Flitterwochen auch den ein oder anderen Bohemian aufkreuzen lässt. Besonders eine Bar auf Holbox war sehr angesagt, wohin es uns schließlich auch eines Abends verschlug. Nach einer guten halben Stunde erbarmte sich die Kellnerin unser und wir konnten unsere Cocktails bestellen. Nach einer weiteren halben Stunde kamen sie dann auch, natürlich jeweils mit einer halben Gurke und sämtlichen auf der Insel verfügbaren Kräutern dekoriert. Doch eines fehlte: der Strohhalm!
"Sieht ja interessant aus", meinte meine Mutter, "aber einen Strohhalm hätte ich schon gern." Sie wandte sich an unsere Kellnerin, die eben vorbeischlurfte. Zu Lebzeiten von Kurt Cobain wäre sie auf jeder Party als sein Double durchgegangen. "Can I get a straw, please?" Kurt Cobain, die uns vorher eher mit einem eher sehr ausgeglichenen Temperament begegnete, wurde plötzlich sehr wütend. Sie schoss einen vorwurfsvollen Blick auf uns. "NO!" Wir zogen die Köpfe ein. "WE DON’T USE PLASTIC!" Ok. Das war eine deutliche Ansage. Wir blickten etwas verdutzt aus der Wäsche. "Ok. Sorry", entschuldigten wir uns sehr kleinlaut. Wie konnten wir nur so etwas Dummes fragen? Kurt warf den Kopf nach hinten und ignorierte uns für den Rest des Abends.
Das Kundenverhalten ändert sich? Schwachsinn!
Du wunderst Dich nun warum ich Dir diese Geschichte erzähle und was sie mit Innovation zu tun hat? Nun, das wirst Du gleich verstehen, wenn ich etwas nach vorne spule. Einige Wochen nach meinem Urlaub hatte ich das Vergnügen ein Projekt zu Digitalisierung und Innovation vor dem Top-Management eines größeren mittelständischen Unternehmens in der Kunststoffindustrie vorzustellen. Die Firma verdiente vornehmlich damit Geld, dass Produkte in Plastik verpackt wurden. Schon relativ zu Beginn des Gesprächs warf ich - sensibilisiert nach der Urlaubserfahrung - das Thema „verpackungsfreie Supermärkte“ in die Runde. „Was wird denn aus Ihrem Kerngeschäft werden, wenn in Zukunft mehr als nur eine Handvoll Großstädter Produkte nicht mehr abgepackt kaufen? Womit würde Ihr Unternehmen dann Geld verdienen?“ Zero waste isn't just for hippies anymore, titelte der CNN und die New York Times schrieb erst kürzlich über das Verbot von Plastikstrohhalmen in amerikanischen Städten. So manches Unternehmen in der Vergangenheit hätte schließlich den Schritt verschlafen, verändertes Kundenverhalten zu antizipieren, merkte ich an. Ein zukunftsfähiges, digitales Geschäftsmodell nimmt stattdessen Rücksicht auf die Entwicklung des Kundenverhaltens und beinhaltet damit unter Umständen andere Komponenten als dies im bisherigen Erfolgsmodell der Fall war. Komponenten an die man bisher vielleicht noch nicht zu denken wagte: „Wer weiß, vielleicht stellen Sie in Zukunft auch andere Produkte her oder betreiben gar eines Tages selbst eine verpackungsfreie Supermarktkette?“
Das Erfolgssyndrom - ein Paradebeispiel
Um es vorwegzunehmen: mit Ausnahme des Digitalchefs des Unternehmens kamen meine Aussagen bei den Herrschaften gar nicht gut an. Was für eine komplett aus der Luft gegriffene Provokation! Sie als Marktführer in ihrem Segment der Kunststoffverpackungen als Betreiber von Unverpackt-Läden? Völlig absurd! Fünf Augenpaare lächelten mich überlegen an und erzählten mir nun sehr ausführlich, wie gut das Unternehmen doch dastünde, welch lange Erfolgshistorie es habe, welche Bedeutung in der Region und dass ich mir gar nicht vorstellen könne, welch starke Kapitalbasis vorhanden sei. Selbst wenn man fünf Jahre lang keinen Cent einnehmen würde, wäre noch genug Geld vorhanden um weiterzumachen! "Wir brauchen keine Innovation! Wir brauchen Digitalisierung!" Der Rest solle bitte beim Alten bleiben.
Ist das nicht wundervoll? Ich liebe solche Geschichten. Sie sind das perfekte Beispiel für das in der Wissenschaft von Nadler und Kollegen (1995) vorgestellte Erfolgssyndrom. Unternehmen, die unter einem Erfolgssyndrom leiden haben einen stark intern ausgerichteten Blick und treten dabei oftmals selbstgefällig, gleichgültig und nahezu arrogant auf. Gefährdet sind gemeiner Weise besonders die Unternehmen, die lange Zeit sehr erfolgreich und ohne größere Krisen gewirtschaftet haben.
Man könnte denken: gut, wenn die Unternehmen trotzdem weiterhin Erfolg haben, ist es doch eigentlich egal, welche Syndrome in ihnen schlummern. Ja, aber: nur wenn sich im Umfeld nichts ändert. Das Erfolgssyndrom setzt nämlich die unternehmerische Lernfähigkeit außer Kraft. Vor lauter Selbstgefälligkeit und Scheinsicherheit läuft das organisationale Lernen auf Sparflamme. Innovationen werden im Keim erstickt. Hinzu kommt oftmals noch ein fehlender Fokus auf Verhalten und Bedürfnisse der (End-)Kunden - besonders bei B2B-Unternehmen.
Sprich: Kommt es zu unerwarteten Marktdynamiken, weil sich etwa das Kundenverhalten rasch verändert oder neue Wettbewerber in den Markt eintreten, die möglicherweise auch noch Pure Digital Player sind und ganz anders ticken als die Traditionsunternehmen, mit denen man bisher konkurriert hat, kann es passieren, dass man plötzlich feststellt, dass der Erfolg von heute nicht mehr ganz dem Erfolg von gestern entspricht. Jetzt müsste man doch das Ruder herumreißen, oder? Von wegen. Nadler und Kollegen (1995) beobachten, dass sich Unternehmen, die sich in der Erfolgsfalle befinden dann erst einmal selbst verteidigen, ihr vergangenes Verhalten rationalisieren und einfach so weitermachen wie bisher. Für die Wissenschaftler ist dies der Einstieg in die Todesspirale, die letztlich dem Unternehmen das Leben kosten wird. Drama, Baby!
Was würde ich also den Kunststoffkönigen empfehlen, wenn sie noch mit mir reden würden? Vielleicht so etwas wie: „Zunächst einmal liebe Herren, schauen Sie sich doch einmal die Marktentwicklung von der Kundenseite näher an: Wie entwickelt sich der Food-Markt in dem Sie hauptsächlich agieren? Inwiefern spielen Themen wie Hygiene auf der einen Seite aber auch Nachhaltigkeit auf der anderen Seite bei den Endkunden eine zunehmende oder abnehmende Rolle? Wie wird Plastik wahrgenommen? Was fühlen die Menschen, wenn sie an Kunststoff denken? Was tut sich hier in verwandten Branchen? Wie könnte sich das Ganze in der Zukunft gestalten und vor allem wie können Sie die Zukunft mit gestalten?“ Das Wichtigste ist also: Augen auf, offen sein, Zielgruppen erforschen, Zukunftsszenarien erstellen und dann Ideenprozesse starten und Innovationen umsetzen. Begeben Sie sich auf eine Zeitreise zu Ihren Kunden der Zukunft!
Sie möchten mehr über einen Future Flash Workshop für Ihr Unternehmen erfahren oder Ihre Erfahrungen mit dem Erfolgssyndrom teilen? Schreiben Sie mir: mail@jessicadibella.de.
Literatur:
CNN (2017). Zero Waste isn’t Just for Hippies Anymore. Online: https://edition.cnn.com/2017/05/01/health/zero-waste-package-free-trnd/index.html.
Hayes, J. (2010). The Theory and Practice of Change Management. Hampshire (UK): Palgrave Macmillan.
Nadler, D., Shaw R. & Walton A. (1995). Discontinuous Change. San Francisco: Jossey-Bass.
New York Times (2018). Bans on Plastic Straws in Restaurants Expand to More Cities. Online: https://www.nytimes.com/2018/03/03/climate/plastic-straw-bans.html.
Schlagworte: #innovation #entrepreneurship #intrapreneurship #erfolgssyndrom
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